Die Direkte Demokratie Athens

Athenian Democracy, C. 507 BC, via the Greek Herald

Demokratie auf dem PrüfstandIst Wehrhaftigkeit Verrat an der Idee? (Mögliches AfD Verbot spaltet die Welt

Im Fernsehprogramm lädt Christoph Sieber jüngst zu einem kleinen Ausflug in die Geschichte der NSDAP ein. Wie ich finde ein sehr gelungener und wichtiger Fernsehbeitrag um in Erinnerung zu rufen, wie schnell eine ganze handlungsunfähige Welt auf dem Kopf stehen kann, wenn nur genug Zündstoff vorhanden ist. Einziger Haken ist die spürbare Motivation: es wirkt wie eine Rechtfertigung für die derzeit immer noch sehr umstrittene Verbotsdebatte und dem Einstufungs-Hin-und-Her als rechtsextrem rund um die AfD. Und schon ist die Anhängerschaft der AfD wieder nicht mehr bereit dieser Warnung in Worten und Bildern zu folgen... Leider.

Eine symptomatisches und beispielhaftes Scenario, welches sich seit vielen Jahren in solcher und ähnlicher Form rund um die Rezension der AfD wiederholt. Der erste Kommentar, der mich nach der Nachricht über die vom Verfassungsschutz erteilte Einstufung der AfD als gesichert rechtsextrem erreichte in meinem Umfeld kam von einem AfD-Gegner mit den Worten: “Das spielt denen doch nur wieder in die Hände...” - Und prompt ein Tag später: "Verfassungsschutz setzt die Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextrem“ temporär wieder aus. Aus dem Vorfeld wissen wir, dass das Hin und Her noch nicht zu Ende ist. Aber die Frage ob das nicht die beste Publicity für die Partei darstellt, sollte erlaubt sein.

Demokratie auf dem Prüfstand

Es ist wirklich interessant wie sowohl Gegner als auch Befürworter sowohl auf den Seiten des AfD- Verbots als auch auf den Seiten gegen ein Verbot zu finden sind. Wir (alle) wissen tatsächlich nicht wie wir mit der Situation im Rahmen der demokratischen Grundsätze umgehen sollen. Unter anderem vielleicht ein Verdienst der “Architekten” hinter der Partei. Ehemalige CDU Senioren aus deren rechten Flügel, die im Hintergrund seit über 10 Jahren am salonfähigen Image der Partei gearbeitet haben (inzwischen zum Teil altersbedingt ausgeschieden) und ihre Erfahrungen aus Jahrzehnten CDU in die AfD übertrugen. Grund für solche “Wanderungen” könnten die endlosen Koalitionen gewesen sein, die alle Parteien aus der Mitte in einer Form zersetzten, dass sich Viele darin nicht mehr wiederfanden. Das könnte dazu geführt haben das Altparteien-Mitglieder zur AfD wechselten und diese nun mitgestalten und dadurch entschärfen. Was aber nun mal nicht darüber hinwegtäuschen kann und sollte, dass es sehr fragwürdige Leitfiguren in ihren Reihen gibt. Mit Aussagen, die den Exkurs von Siebers in deutscher Geschichte nur allzu verständlich und notwendig macht.

Reaktionen auf den Fernsehauftritt wie: “Die Gemäßigten sind die eigentliche Gefahr. Sie stellen sich hin und behaupten, sie kennen die Beweise für die Verfassungsfeindlichkeit nicht und lassen die Wähler glauben das sei alles eine Verschwörung.” – finde ich interessant. Und zwar in Hinsicht auf eine Form der Ratlosigkeit in Deutschland, wie sie hier einzigartig zu sein scheint. Meine Vermutung ist, dass dies im Zusammenhang mit den Widersprüchen steht, die wir selbst in der politischen Geschichte des Landes erzeugt haben, als wir in anderen Parteien fragwürdige Würdenträger nicht auf gleiche Weise dämonisiert und mit samt ihrer Partei als kritisch eingestuft haben. Genau das könnte sich jetzt - auch wenn ich das in Einzelfällen immer noch richtig fand und finde genau hinzuschauen und abzuwägen, denn sonst hätten uns wichtige Stimmen im politischen Dikurs gefehlt - als Problem herausstellen. Und auch der Grund dafür sein, warum eine Sahra Wagenknecht gegen den derzeitigen Umgang mit der AfD kritisch ist. 

Denn die Sorge, das könnte auch andere Parteien ereilen, schwingt da eventuell mit. Eine Debatte über Kontaktschuld ist ihrem Gatten bereits anhänglich und inwiefern wir bei all dem “übertreiben”, ist immer noch nicht eindeutig geklärt. Zumindest für mich nicht. Denn ungeachtet dessen, dass ich nie auf die Idee käme mich mit verfassungsfeindlich gesinnten Menschen regelmäßig zum Kaffeeplausch und schon gar nicht auf einer Demonstration zu treffen, außer um sie als Analytiker zu interviewen oder im Dialog heraus zu finden, was ihre Motive zu ihrer Gesinnung sind und sie davon vielleicht abzubringen und zum Umdenken zu bringen, ist es wirklich schwer für mich nicht skeptisch zu werden, so gebe ich zu, wenn ich erfahre dass jemand regelmäßig Kontakt mit Personen hat, die eine gewaltbereite Ausstrahlung, enthemmte Ansichten nach außen tragen und welche ich eindeutig als ernstzunehmende Gefahr für andere Menschen und für das Land erachte.

Andererseits darf es natürlich nicht sein, dass die Angst vor solchen Kräften im Land dazu führt, dass wir alle Grundsätze der Demokratie über Bord werfen. Wie man nach 09/11 gesehen hat, kann diese Angst schnell dazu führen, dass alles was die freie Welt von sich glaubte zu sein, in wenigen Momenten in Stücke zerfällt und schon die wesentlichsten Menschenrechte, auf die wir so stolz waren, plötzlich mit Füßen getreten werden im Namen der Verteidigung der Demokratie. Guantanamo ist für mich ein Synonym für die Verzweiflung und den Zwiespalt in der Terminologie “Wehrhafte Demokratie”, wenn diese auf Angst und Massenhysterie trifft. Aber ebenso wichtig ist es nicht tatenlos da zu stehen, wenn die Demokratie im Inneren zersetzt wird. Denn das wäre fatal.

Was ist wenn wir Menschen zur Verantwortung ziehen anstelle von Partei-Konstrukten

Ich habe da eine laut gedachte Idee, mit einem Wermutstropfen (der kommt zum Schluss): Wenn es derartige verfassungswidrige Aussagen und Haltungen von AfD Mitgliedern und(!) Mitgliedern anderer Parteien gibt, warum dann nicht gegen diese Rechtspersonen im Einzelnen juristisch vorgehen? Ich weiß, dass jetzt viele sagen werden: “Ja aber das bannt die Gefahr die von solch einer Partei im Ganzen ausgeht nicht.” – Ich behaupte, dass es in fast jeder Partei Mitglieder gibt, die sich die Frage stellen lassen müssen, ob sie verfassungsfeindliche Positionen vertreten. Sonst hätte es ja nie Überläufer gegeben. Und es wäre ein viel wichtigerer und größerer Schritt zum Schutz der Verfassung und der Demokratie in diesem Land Personen anstelle von Konstrukten zu belangen, egal in welcher Partei. 

Das würde dann nämlich auch solche “Architekten” treffen, die heimlich in eine andere (neuere) Partei eintreten um diese nach außen zu “säubern”. Wäre man von Anfang an so vorgegangen, hätte es den Image-Wechsel der AfD gar nicht gegeben. Und so muss auch keine andere Partei Angst haben als Ganzes an den Pranger gestellt zu werden. Vielleicht ist es Parteien in der Form wie es nötig wäre auch nicht möglich Mitglieder in der Weise zu tadeln, auszugliedern oder "an die Kandare zu nehmen", wie es eine unabhängige Organisation von außen wie der Verfassungsschutz kann.

Man sollte Eines nicht vergessen: Parteien sind nur “Konstrukte” hinter denen Menschen und eine Gruppendynamik stehen. Und diese Konstrukte sind nun mal so gebaut, dass sich darin so viele Menschen wie möglich sammeln, damit sie eine Daseinsberechtigung haben. Schwarze Schafe inklusive. Und umgekehrt: es gibt auch Menschen in fragwürdigen Parteien, die keine extremen Ansichten vertreten. Wie im Übrigen auch viele ihrer Wähler. Die Gründe für einen Eintritt in eine Partei und für das kleine Häkchen auf dem Wahlzettel sind bei Menschen sehr sehr verschieden, wie ich bereits in einem anderen Beitrag erläuterte (Link).

So wie sich die Kirche im Wandel der Zeit geändert hat und es keine Inquisition mehr gibt und auch Die Linke meiner Ansicht nach nicht mehr einfach die “Nachfolgepartei der SED” ist, wie einige leider sehr engstirnige Kalter Kriegs Propaganda Geprägte wie ein Herr Prof. Dr. Rieck – der kein Prof. für Politik sondern für Wirtschaft ist - ja immer noch felsenfest behaupten, obwohl nun wirklich allmählich fast alle ehemaligen Mitglieder der SED ausgestorben sein dürften und diese Partei mit vielen anderen kleinen Parteien in ihrer Geschichte fusionierte, so ist doch denkbar, dass die AfD sich entweder aus ihrer Gründungsgeschichte und derer Figuren befreit, oder sich – auch das gab es ja schon – die Wähler und Mitglieder in andere Parteien verteilen? Was wahrscheinlich sowieso passieren wird, wenn die Partei verboten wird. Und dann geht die Suche nach den verfassungsfeindlichen Figuren von vorne los. Und bitte bei der ganzen Euphorie um die AfD ihre Schwesterparteien im Schatten nicht vergessen!

Also warum dann nicht gleich überparteilich und personenbezogen ermitteln anstelle des Jagens von einem Phantom im Mantel eines Parteinamens? Verfassungswidriges Handeln einer Person oder das Aufrufen zu solchem Handeln sollte vielleicht auch schärfer, schneller und härter vor Gericht landen? Salopp gefragt. Das soll hier keine Hetzjagd werden. Ich denke nur laut im Stil von "was wäre wenn" und "wie wäre es besser". Was bei Einzelpersonen sicher einfacher umsetzbar ist als bei einer ganzen Partei. In den USA ist das zumindest zu einigen Zeiten relativ schnell eskaliert, wenn jemand die Statuten des Landes angriff. Um es auch mal kritisch zu formulieren. Wie gesagt, es geht um Menschen. Nicht um Konstrukte.

Aber es sollte Vielen auch klar sein: Der Grund warum das Ganze nicht so einfach ist und schwierig bleibt, hängt auch mit Parteifinanzierungsregeln zusammen. Bleibt halt die Frage offen, ob solch eine Partei weiterhin Gelder aus dem Topf der gewählten Parteien nehmen darf oder nicht, wenn sie sich nicht klar gegen verfassungswidrige Mitglieder ausspricht und Stellung bezieht zu Vorwürfen. Das ist und bleibt dann immer noch ein ungelöstes Problem, was nicht zu verachten ist, wie ich finde.

Die General-Frage

Etwas Polemik sei hier erlaubt: Kann eine “freie Welt” (wie wir gern die demokratischen Staaten in der Westlichen Kultur nennen) also nur existieren wenn sie ihren eigenen Untergang wehrlos hin nimmt? Weil sich zu wehren ja hieße, sie müsste ihre Grundsätze opfern und wäre nicht mehr “frei”? Oder war sie nie wirklich frei? Und hat sich genauso verteidigt und beschützt gegen Systemfeinde und Kritiker wie jede andere Gesellschaftsform es vor ihr tat, die wir dafür historisch nur allzu gern an den Pranger stellten? Was dann hieße: "scheinfreie" Welt. Nur offener vielleicht? Ich denke wir haben die Trauben bezüglich dessen was unsere Welt sein will oder sein soll, vielleicht auch ein bisschen zu hoch gehangen?

Denn das kann auf lange Sicht nur dazu führen, dass man die Frage aushalten muss, ob diese freie Welt überhaupt existiere. Und das würde wiederum bedeuten, dass unsere Vorwürfe gegenüber anderen Gesellschaftsformen, die wir nur all zu oft und allzu gern genutzt haben, um mit dem Finger auf andere zu zeigen, mehr als nur heuchlerisch waren. Es ist nun mal seit Jahrtausenden erwiesen, dass das mit dem Finger auf andere zeigen sich irgendwann rächt. Mein Vorschlag: Weniger "wir sind die Größten und Tollsten" und mehr "Wie kann man ein Problem lösen".

Also vielleicht geht es gar nicht mehr um die Frage ob wir noch sind was wir immer behauptet haben zu sein. Sondern darum jetzt einfach das Beste aus der Situation zu machen und sich selbst dabei nicht in ein Korsett von Erwartungen oder Selbstbezeichnungen zu stecken? Denn in einem sollten sich doch Menschen untereinander einig sein: wenn einige unter uns dazu aufrufen Menschen Unrecht und Leid anzutun, dann sollten wir das hinterfragen und jene auch in möglichst menschlicher aber bestimmter Form daran hindern. Denn das ist kein Schutz einer Gesellschaftsform. Es ist Schutz im Inneren einer Lebensform. Doch dann - so sagen Einige - steht die Idee am Pranger:

Ist Wehrhaftigkeit also Verrat an der Idee?

Wenn die Wehrhaftigkeit zu früh und zu weit geht und zu destruktiv wird, dann ja. Aber tatenlos mit ihr untergehen? Nein. Denn sein wir doch mal ehrlich: Demokratie war weder perfekt, noch jemals fehlerfrei. Das ist die richtige Antwort auf die Feinde der Demokratie, die diese angreifen wollen und Gefolgschaft um sich sammeln können mit dem Hauptargument wie fehlerhaft diese doch sei, ohne an ihr mitarbeiten zu wollen.

Die richtige Antwort darauf ist nicht: Nein wir sind die Größten! Alle anderen sind automatisch Feinde. Die richtige Antwort darauf ist: ja stimmt. Wir haben Fehler. Komm, helf uns es zu verbessern. Mach mit. Und nicht dagegen. Denn Zerstörung wird nicht gedultet. Denn dann ist Wehrhaftigkeit nicht mehr Verrat an der Idee sondern Schutz der Idee. Bis dahin muss sie aber in der Lage sein Gegenwind als etaws Positives für seinen Wandluing und Verbesserung zu begreifen. Und eigentlich war das auch immer eine Stärke der Demokratie bei all ihren Imperfektionen: sie war wandlungs- und entwicklungsfähig. Und daduch weniger anfällig für große Risse. Flexible Bauweise nennt sich das in Erdbeben-Gebieten. Das sollten wir nicht aufgeben. Oder doch? Das fragen sich Systemanalytiker seit Jahrzehnten.

Beenden möchte ich diese kleine Essay mit einem weiteren Kommentarzeilen-Netzfund: "Die Frage stellt sich nicht! Demokratie muss immer wehrhaft sein!" - "Doch die Frage stellt sich immer! Sonst sind wir keine. Und kein Deut besser als die sogenannten Schurkenstaaten."

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